Artikel 07.06.2022

So schön, dass ich das sagen darf: Nillson beim Orange Blossom Special 2022

Nach drei Jahren, die inmitten einer weltweiten Pandemie und globaler Brandherde überall immer noch unwirklich und wie ein diffuses Loch im Zeitstrahl wirken, trafen wir uns wieder im Glitterhouse-Garten. Was das bedeutet hat, lässt sich ohne Emotionalität gar nicht erzählen. Darum werde ich es auch gar nicht erst versuchen.

Lasst mich mit einer kurzen persönlichen Geschichte beginnen. Es gibt ein wunderbares Buch mit kleinen, skizzenartigen Cartoons von Charlie Mackesy namens „Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd“ (bitte besorgt euch das, es wird euer Leben bereichern!). Meine Schwester schenkte es mir zum Geburtstag, im Sommer 2020, mitten in all der Unsicherheit der noch weitgehend neuen pandemischen Situation. Auf einer Seite befindet sich eine Zeichnung, die mich binnen Sekunden zum Weinen brachte; darunter steht der Satz: „Ich glaube, jeder will einfach nur nach Hause“.

Das mit dem nach Hause kommen war nämlich plötzlich von einer niederschmetternden Schwere überschattet. Wer ältere Eltern hatte, wie ich und wahrscheinlich viele von denen, die das hier grade lesen, hatte diesen Ort – oder besser: diese Entität - nämlich mit ungewissem Ausgang neu sortieren müssen im Sommer 2020, denn die Gefahr, sich oder seine geliebten Menschen durch das Virus einer bedrohlichen Situation auszusetzen, war so groß, dass man sich entschied, für sich zu bleiben zum Schutz der anderen. „WirBleibenZuhause“ war in den sozialen Medien ein vielgenutzter Hashtag, aber er konnte unmöglich in Gänze einfangen, was das Gefühl von einem Zuhause für all die Menschen da draußen mit all seinen Facetten bedeutete.

Das Hadern mit ganz neuen Verantwortlichkeiten, Ängsten und Sorgen wurde zu einer nie zuvor gekannten Beschäftigung, die uns aufrieb und mit fortschreitender Dauer des Ausnahmezustands auf den Boden drückte. Der „WirBleibenZuhause“-Claim definierte „Zuhause“ als einen Ort innerhalb der vier Wände, für die man Miete zahlte oder die einem gehörten. Was es nicht meinte – und nicht meinen konnte, weil es einfach zu vielschichtig ist – war die alte Weisheit, das „Zuhause“ nicht zwingend ein Ort, sondern mindestens gleichzeitig auch ein Gefühl ist. So sahen sich viele, und so auch ich, im Sommer 2020 von Corona nicht nur Orten abseits der bezahlten vier Wände, sondern auch eines Gefühls beraubt.

Wie lange dieser Zustand andauern sollte, das wurde bald klar, konnte niemand sagen. Das war das eigentlich Schmerzhafte. Verzicht und die Demut davor waren wichtige Bausteine in der persönlichen Pandemiebewältigung, doch zwischen Unklarheiten, Durchhalteparolen und Machtlosigkeit wurde das immer schwerer. Vor allem für die, die in dem Wort „Zuhause“ auch Menschen lesen, die ihnen wichtig sind. Die ohne die umarmende Wärme einer Gemeinschaft, die im gleichen Rhythmus tickt, irgendwann nicht mehr so recht wussten wohin mit sich.

Es kommt nicht von ungefähr, dass ich die Rückschau auf das Orange Blossom Special 2022 mit dieser kurzen Einführung beginne. Denn „Zuhause“ ist ein Wort, das oft, sogar sehr oft fällt an diesem besonderen Pfingstwochenende. Dass der Festivalsommer vor zwei Jahren wegbrechen würde, war schnell klar gewesen, das hatte wehgetan, aber man hatte sich arrangiert. Rembert und die Crew hatten mit der ihnen so eigenen liebevollen Energie ein dreitägiges Streaming-Festival auf die Beine gestellt, es gab exklusive kleine Performances auf der Bühne vor einem rein digitalen Publikum und sehr besondere Sessions aus den Proberäumen der ursprünglich eingeplanten Bands und Künstler; ich verbrachte das Wochenende vor dem Fernseher, frittierte mir meine eigene Mini-Calzone und hielt über Handy und Videochat Kontakt zu denen, auf die ich mich sonst das ganze Jahr über freute. Wie beeindruckend viele andere kaufte ich Retter-Merch und versuchte zu helfen, diesem besonderen Festival eine Zukunft zu geben. Aber: Ich war zuhause, jedoch nicht „zuhause“. Und das ging vielen Menschen sehr, sehr ähnlich.

Das Orange Blossom Special bedeutet für die, die es lieben, einen Ort abseits der alltäglichen Ansprüche und Erforderlichkeiten. Alex Henry Foster wird bei seinem unfassbaren Auftritt am Sonntagabend immer wieder den Geist der Community beschwören, und auch wenn seiner Lesart von Gemeinschaft zuweilen auch viel Spiritualität inne wohnen mag, ist genau dieses Gefühl das meistvermisste in den letzten Jahren gewesen. Einen Platz zu haben, an dem man willkommen ist, egal wie das Leben einem sonst entgegen tritt; wo man die Liebe zur Musik teilt und zelebriert wie an nur wenigen Orten sonst; wo Herzblut, Haltung und Hingabe keine Worthülsen sind und sich Jahr um Jahr beweist, das Freundschaft nicht bedeuten muss, sich jeden Tag ellenlange Sprachnachrichten schicken zu müssen, weil eine Umarmung im Glitterhouse-Garten dir alles erklärt: Das ist dieses Gefühl, das sich Zuhausigkeit nennt (und das Rembert sogar in seinem Einführungstext im Programm-Booklet aufgreift, danke dafür!), in Reinform. Eine temporäre Heimat, die wir uns alle selbst ausgesucht haben, weil wir sie alle gemeinsam fühlen. Wie sehr hat uns das allen gefehlt.

Es ist mir bei aller Liebe und eigener emotionaler Involviertheit nicht möglich, ansatzweise nachzuempfinden, was Rembert und Simon gefühlt haben müssen, als sie nach all der Zeit der Entsagung, der Rückschläge, der Ungewissheit und der Ernüchterung zu „Es müsste immer Musik da sein“ die Bühne betreten und die Menschen da im Garten minutenlang applaudieren; frenetisch, dankbar, glückstrunken. Das spricht Bände und erzählt Geschichten, die ich unmöglich alle aufschreiben könnte, selbst wenn ich sie en detail kennen würde. Tränen fließen, es ist ein hochemotionaler, zutiefst ergreifender Moment. Stell dir mal bitte vor, du konntest drei Jahre lang nicht nach Hause.

Dabei ist das ein Gefühl, das derzeit viel zu zahlreiche Menschen auf der Welt kennen. Es befindet sich so vieles in Schieflage. Da ist ja nicht nur die Pandemie, die immer noch nicht vorbei ist, sondern auch der Kampf gegen den Klimakollaps; gegen all die solidaritätsfernen Egomanen, die so laut schreien und gegen die kein Kraut gewachsen scheint; all das Leid, das der Krieg in der Ukraine wie in so vielen weiteren globalen Brandherden über die Menschen bringt. Angst und Sorge sind ständige Begleiter, und wir alle haben spätestens seit März 2020 schmerzhaft erfahren müssen, wie unbedeutend kurz unsere Armlängen sind. So machtlos, so wütend und müde haben wir uns vielleicht noch nie in unserem Leben gefühlt, wie wir das zur Zeit oft tun. Wir haben Demut lernen müssen.

Natürlich ist es in diesem Kontext, das schreibt auch Rembert in seinem besagten Einführungstext, eine irgendwo frivole Sorge, den Fortbestand des Lieblingsfestivals ins Zentrum der täglichen Struggles zu schieben: „99% der Weltbevölkerung geht es schlechter als uns. Wir sind Privilegierte, zwar manchmal mit Knoten im Herzen, aber wir alle verdrängen gerne. Wie Dickschiffe.“ Was aber ebenso unumstößlich klar ist: Wenn wir dem Unbill der Welt mit aufrechtem Gang und in die Luft gereckter Faust standhaft entgegen treten wollen, müssen wir ab und zu die Akkus wieder voll machen. Uns vergewissern, dass da noch andere sind, die mit uns fühlen und in die gleiche Richtung laufen statt – so fühlte sich das in den letzten Jahren halt manchmal an – schlingernd und haltlos durch den Äther zu trudeln.

Dass wir genau da thematisch jetzt eben doch wieder beim Orange Blossom Special sind, mag sich kitschig und unangemessen lesen, aber halt nicht für die, denen dieses Festival ein solcher Ort der emotionalen Regeneration ist. Dass es aufgrund vieler Unwegbarkeiten (zu denen, auch das ist Teil der Wahrheit, sicherlich auch ein Wust von aufgeschobenen Unternehmungen und Feierlichkeiten zählen, die nach dem Wegfall der meisten Corona-Maßnahmen nun den Kalender sprengen) erstmals seit 2010 dazu kommt, dass das OBS nicht ausverkauft ist, muss man ins Verhältnis setzen können. Es möge sich bitte nicht nachhaltig auf die Planungssicherheit des Orange Blossom Special auswirken. Wer dabei ist an diesem denkwürdigen Wochenende, der fühlt mit Leib und Seele.

Viele Bilder bleiben mir im Kopf. Ich glaube, ich habe selten so viele weinende und ergriffene Menschen im Glitterhouse-Garten gesehen wie bei diesem vierundzwanzigsten Orange Blossom Special. Dazu aber auch auf keine vergleichbare Weise ein so breites Grinsen beim Betreten des Geländes, auch ich muss ausgesehen haben wie ein Honigkuchenpferd. Im Backstage gibt es nun das „ÖBSchen“, einen Kita-Raum für die Crewkinder, von denen es inzwischen einige gibt. Drei Jahre sind halt eine lange Zeit gewesen. Da wird aber noch viel deutlicher, was das hier für eine Familie ist. Die ganz kleinen gehören mehr denn je dazu in diesem Jahr.

Und wenn ich da kurz aus dem noch etwas privilegierteren Nähkästchen eines Hinter-die-Kulissen-Blickers erzählen darf: Am letzten Abend brechen auch im Team alle Dämme, denn der Beverunger Stadtkrug, normalerweise Aftershow-Anlaufstelle Nr. 1, hat dieses Jahr am Pfingstsonntag geschlossen und man bleibt hinter der Villa zusammen. Weil die Musik aus der Dose irgendwie nicht ans Laufen kommt, springen einfach die Jungs von Tom Allan & The Strangest und Trixsi ein, eine Gitarre steht ja eh immer irgendwo rum (oder haben Mudlow die tatsächlich vergessen?), und der gesamte Hinterhof tanzt, singt und liegt sich in den Armen. Du kriegst die Menschen aus dem Strahlen, aber das Strahlen nicht aus den Menschen. Was für ein wundervolles Gefühl, hier mittendrin zu sein (und vielleicht eine Überlegung wert, das beim nächsten Mal einfach wieder zu machen?).

Ist es bezeichnend, dass ich in meinem Word-Dokument jetzt schon auf Seite 3 angekommen bin und immer noch nichts über die Musik erzählt habe an diesem Wochenende? Ja, absolut. Denn auch wenn die auftretenden Bands und Künstler natürlich das Kernthema eines Musikfestivals sind, stehen sie dieses Jahr dann doch mal eher an (immer noch sehr hoch einzuschätzender) zweiter Stelle – was auch wieder Bände spricht, aber gerade deswegen auch überhaupt nicht abschätzig gemeint ist. Sie sind unverzichtbar und sichtbar genau so beeindruckt von der überwältigenden Gefühlsintensität dieser besonderen Festivalmomente, allein die generelle Wiedersehensfreude ist noch ein Mü größer.

Wunderbare Konzerte gab es trotzdem zuhauf. Das ursprünglich für 2020 geplante Lineup ist in allerweitesten Teilen zusammen geblieben, und warum auch nicht? Husten um den geliebten Gisbert zu Knyphausen müssen aufgrund von Corona-Nachwehen noch kurzfristig passen und Thees Uhlmann darf aufgrund von Gebietsbeschränkungen seitens des großen Hurricane Festivals nicht kommen – eine komplette Absurditätsspitze gewahr der Tatsache, dass Scheeßel doch eine ganze Ecke von Beverungen entfernt liegt und das Publikum bei beiden Festivals doch wohl unterschiedlicher nicht sein könnte, aber sei’s drum. Jeder einzelne, der an diesen drei Tagen auf der Bühne steht, hat verdient, gehört zu werden.

Gleich zwei der großen Gewinner vom letzten Jahr (haha, ich weiß, es müsste „vom letzten Mal“ heißen, aber da diesen Versprecher ungefähr fast jeder macht, sehe ich keinen Grund, was anderes zu schreiben) stehen auch 2022 wieder hier, und beide sind inzwischen Glitterhouse-Recording-Artists: Cash Savage & The Last Drinks bringen ihre unbeschreibliche, hochemotionale, druckvolle Energie diesmal als „Freitags-Headliner“ zurück. Was für eine Entdeckung. Tom Allan & The Strangest haben 2019 die Mini-Bühne (die übrigens dieses Jahr den Namen des befreundeten T-Mania-Festivals trägt; einer Versteigerung der Namensrechte für ein Jahr zugunsten des OBS-Fortbestandes sei Dank) in unvergleichlicher Manier eingenommen; Rembert musste das Publikum mehrfach auffordern, mit dem Applaudieren und Jubeln doch bitte so langsam aufzuhören und zur Hauptbühne zurückzukehren. Eine Rückkehr war beschlossene Sache und lohnt sich natürlich; der Band merkt man die drei Jahre Weiterentwicklungszeit an, das ist genau der energiegeladene Indie-Rock (mit wunderbar einnehmendem Pop-Appeal), der derzeit in der Musiklandschaft an allen Ecken und Enden fehlt. Ein unheimlich mitreißendes Konzert inklusive Akustik-Zugabe auf dem Wellenbrecher: So macht man das!

Als OBS-Veteranen stehen dieses Mal Fortuna Ehrenfeld und Trixsi auf der Bühne, ersterer wie gewohnt mit Federboa und Pyjama (allerdings ohne Puschen, sondern barfuß, aber es ist auch heiß am Samstag), letztere mit der gewohnten, in großschnäuzige Shouts verpackten, alltagsweisen Kumpeligkeit von Jörkk Mechenbier, der auch mit Schreng Schreng & La La wieder den Walking Act gibt und ohnehin inzwischen fest zum OBS-Inventar gehört. Es gibt am Freitag ein Wiedersehen mit Matias Larsson und Linus Lindvall (Golden Kanine), die als Cub & Wolf immer noch ganz wundervolle (und mitunter stark berührende) Folk-Songs schreiben können. Und was das Crewmitglied Jan Korbach mit seiner Doom-Metal-Postrock-Band Neànder da abreißt, ist ein einstündiger Wahnsinn, man fühlt sich wie von einer Dampfwalze überrollt (im durch und durch positiven Sinne).

Jenny Apelmo Mattsson kennt das OBS ebenfalls schon ziemlich gut, war schon ein paar Mal mit Torpus & The Art Directors da und spielt jetzt mit jenobi wunderbar angedunkelten Indie-Folk mit eindeutig spürbarer Wut im Bauch und Rock-Attitüde, das ist wirklich wundervolle Musik. Beim libanesischen Trio Postcards ist die Richtung ähnlich, wenn auch deutlich sphärischer und verträumter, halt „dream-poppiger“ – wenn auch auf der Bühne nicht viel passiert, ist es doch genau die richtige Band für einen Mittags-Slot in der Sonne. Dieser Band muss man dringend zuhören.

Große Fragezeichen schweben über vielen Gesichtern im Publikum während der ersten Songs von Hope – deren dystopische, elektrifizierte, manchmal beinahe schon technoide Klangkonstrukte sind erstmal nichts, was man im Garten gewohnt ist, aber die Intensität baut sich immer mehr auf und am Ende wollen die vielen klatschenden Hände Christine Börsch-Supan und ihre Band gar nicht mehr von der Bühne lassen. Das hat mir unfassbar gut gefallen. Vertrautere Klänge für die OBS-Crowd bringen Drens (übrigens auch frisch bei Glitterhouse gesignt!) mit ihrem wild-mitreißenden Mix aus Surf- und Garage-Punk unter den Kronleuchter, und eine Band wie DeWolff kann mit ihrem derart auf den Punkt gespielten Blues Rock sowieso eigentlich nur gewinnen: So viel Bock wie die haben kann nicht auf eine Bühne passen, da musst du dich schon ab und zu auch mal in die Menge schmeißen.

Um den Surprise Act ranken sich wie immer wilde Gerüchte: Ist das eigentlich so, dass die Gebietsbeschränkungen vom Hurricane nicht gelten, wenn Thees Uhlmann gar nicht auf dem Poster steht? AnnenMayKantereit können es nicht sein, die haben Corona. Aber Skinny Lister sind grade auf Tour und Get Well Soon haben eine neue Platte draußen, das wär doch auch beides gut! Es kursiert auch der Name Olli Schulz und zieht seine Kreise. Mit den Dänen von D/troit hat keiner gerechnet. Es ist trotzdem eine perfekte Wahl. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie eine skandinavische Band so authentischen und mitreißenden Soul spielen kann – ein durch und durch starker Auftakt in den Sonntag.

Niels Frevert und Eliza Shaddad bringen den Samstag bzw. den Sonntag würdevoll zu Ende, hohe Sympathiewerte, große Grandezza – wenngleich es auch schwer ist, nach ihren jeweiligen Vorgängern aufzutreten, die die Messlatte auf ihre ganz eigene Weise äußerst hoch gelegt haben. Wenngleich sich mir die große Begeisterung für July Talk aus Kanada nicht in Gänze erschließen mag, macht mich das Konzert von Alex Henry Foster & The Long Shadows völlig fertig. Ich war sehr gespannt, wie das im Garten funktionieren würde. Beim Reeperbahn Festival 2019 (über das im Zuge der Show oft gesprochen wird) brachten die Kanadier drei Songs in 45 Minuten unter, das ist schon sehr besonders. Aber kann man überhaupt Songs dazu sagen? Es sind eher ausufernde, epochale Manifestationen zwischen Impro-Clash, Postrock, Shoegaze und Prog, zwischendurch bedächtig ruhig, sich dann aufbauend und ausbrechend bis zum emotionalen Überkochen, repetitiv, treibend, hypnotisch, was bitte geht da ab?

Und dazwischen offenbart sich ein Künstler mit einer Hingabe, die zum Teil dargeboten wirkt wie bei einem höchst kathartischen Poetry Slam, mal flehend und hochemotional, dann wieder in sich gekehrt, ach: das ist mit Worten echt schwer zu beschreiben, zählt aber vielleicht zu meinen Top 3 Konzerten der jüngeren OBS-Vergangenheit. Alex Henry Foster beschwört die Verbindung, die Musik zu schaffen in der Lage ist, und die dadurch entstehende Community als Antwort auf all den Hass und das Üble in dieser Welt. Da ist er hier natürlich genau am richtigen Platz. Er zelebriert die Begegnung, lässt sich auf Händen durch den ganzen Garten tragen, drückt einer Zuschauerin die Gitarre in die Hand (auch sie spielt auf den Händen des völlig faszinierten Publikums) und ist auch im Anschluss ein ungeheuer sympathischer Gesprächspartner – wer danach nicht komplett platt ist, war nicht dabei.

Ja, es war eine ganz besondere Rückkehr „nach Hause“ in diesem Jahr. Man hat gespürt, wie das fehlte. Das Zusammensein, die Einigkeit, die Liebe. Wenn auch die Veranstaltungs-Branche die Auswirkungen vieler Einflussfaktoren spürt und sicherlich noch eine ganze Zeit lang spüren wird, dürfte sich jeder, der an diesem Pfingstwochenende in Beverungen war, daran erinnert haben, was es ausmacht, für die gemeinsame Sache inmitten von Menschen zu sein und in Unmittelbarkeit ein großes Gefühl zu teilen. Die letzten Jahre haben an uns gezerrt und gerissen, aber gebrochen haben sie uns nicht. Das ist eine wohltuende Erkenntnis.

Es mag so sein, dass die Widrigkeiten der Welt laut und groß sind. Aber um ein Bild von weiter oben wieder aufzugreifen: Das Orange Blossom Special hat geholfen, unseren Energiereserven eine dringend benötigte Auffrischung zu verleihen. Egal ob wir nun vor, hinter oder auf der Bühne standen. Dass ein so vergleichsweise kleines Festival so etwas vermag, macht mich auf lange nicht erlebter Weise sehr dankbar. Es hat uns darin bestärkt, was wir die ganze Zeit tief im Inneren wussten, aber alleine in unseren eigenen vier Wänden kaum noch physisch zu spüren in der Lage waren (frei nach Thees Uhlmann): „Alles wird gut, denn es gibt sie da draußen, diese schönen, schönen Menschen, denn ich habe tausende gesehen. Und ich kann sie verstehen“.

Im nächsten Jahr werden wir das alle wieder brauchen, und auch, wenn wir gelernt haben, demütig zu sein und nichts mehr vorauszusetzen: Die gute Hoffnung, dass es passieren wird, hat wieder Nahrung bekommen. Als selbstverständlich werden wir es vielleicht noch eine ganze Zeit lang nicht wieder hinnehmen. Mag sein, dass wir alle das Gefühl rund um das Orange Blossom Special mit allen Extraschippen Pathos aufladen, die wir haben. Aber genau so ist es richtig und genau so ist es gut. Denn, um es mit den Worten von Martin Bechler von Fortuna Ehrenfeld zu sagen: „In ein paar wenigen Minuten, an diesen ganz besonderen Tagen, ist die Welt gar nicht so scheiße wie sie alle immer sagen“. Dem bleibt, das glaube ich, bis auf weiteres nichts mehr hinzuzufügen.

 

Text: Kristof Beuthner