Fundgrube 01.03.2018

Nillson-Throwback: Bessere Zeiten - Ein bitterer Abgesang

Vor zehn Jahren startete ich mein Leben als Schreiber bei diesem famosen Fanzine hier. Viel erlebt, viel gehört, viel geschrieben und viel gemacht: Es gibt einen ganzen Haufen Geschichten zu erzählen über diese Zeit. Und wie das so ist bei guten Geschichten: Ich fange einfach ganz vorne an.

Über Musik schreiben hatte ich schon vorher immer gerne wollen. Aber einen eigenen Blog gründen? Nee. Ich hätte damit allerdings ausgezeichnet in die Zeit gepasst, in der man sich noch sehr sorgsam überlegte, mit welchen drei Songs auf seinem Myspace-Account man sich am besten beschreiben konnte, denn Musik teilen über StudiVz ging nicht. Für einen Kickstart im Alleingang fühlte ich mich aber noch nicht bereit. Und einfach nur schreiben um zu schreiben - das konnte jeder. Ich brauchte: Ein Team.

Meine Schwester hatte schon seit einiger Zeit Kontakt zur Nillson-Redaktion, war Teil des Teams, schrieb ab und zu eine Plattenkritik, zumeist aber über Theater, sie studierte Dramaturgie in Leipzig und war so gesehen voll im Thema. Sie stellte mich Volker vor, der unter dem Namen „flipkicker“ schrieb - ja, damals gab es noch Nicknames bei Nillson! - und dann ging es ganz schnell.

Ich erzählte, dass ich gerne dabei sein würde, und er schickte mir „Ein bitterer Abgesang“ von der Band Bessere Zeiten aus Pinneberg, veröffentlicht über Zick Zack Records. Ich sollte eine Probe-Review schreiben, danach würde im Team entschieden, ob ich mitmachen kann. Klar war ich Feuer und Flamme und machte mich an die Arbeit. Ich erinnere mich noch, wie ich zwischen Weihnachten und Neujahr (deswegen steht dort unten auch Ende 2007 - veröffentlicht wurde die Review aber 2008, darum werte ich das als Startjahr) im Wohnzimmer meiner Eltern saß, das Notebook auf dem Schoß, die Kopfhörer auf den Ohren und top motiviert.

Aber „Ein bitterer Abgesang“ war, wie der Titel schon erahnen lässt, ein ganz schön schwerer Brocken, eine ziemlich düstere, triste, antikapitalistische Platte, sehr sperrig; dazu ein Cover aus der Galerie des Grauens. Ich scheine trotzdem den richtigen Ton gewählt zu haben, jedenfalls bin ich seit dieser Rezension Teil des Teams und ich hatte endlich eine - wie ich finde immer noch äußerst coole - Plattform gefunden, um das zu tun, was ich immer wollte.

In den nächsten Wochen werde ich euch ein bißchen aus den zehn Jahren, die seitdem vergangen sind erzählen - über Platten, die mir besonders ans Herz gewachsen sind; Interviews, die gut oder gar nicht nach meinen Vorstellungen gelaufen sind; den ersten Festivals, auf die ich ging um über sie zu schreiben und die ein oder andere Anekdote, die ich erzählenswert finde. Und ich beginne mit dem Album, mit dem damals alles anfing: Das waren meine Worte zu „Ein bitterer Abgesang“ von Bessere Zeiten.


„Ich stelle mir eine Bühne vor. Kein großer Club, eher so größeres Jugendzentrum. Zwei junge Männer betreten die Bühne, zwei weitere folgen und platzieren sich im Hintergrund. Einer von den ersten beiden spricht: „Liebe Leute, wir sind Bessere Zeiten, und das ist ein bitterer Abgesang“. Wir denken, aha, das ist ja schon mal paradox, da kommt sicherlich so was in Richtung Punk, natürlich mit gesellschaftskritischen Texten, hat man doch alles schon gehört. Teilweise richtig, denn das was wir zu hören kriegen lässt uns eine kleine Zeitreise machen in die frühen 90er Jahre, als das Hamburger Label L’Age D’Or die vorherrschende Position in der deutschen Indie-Szene inne hatte. Das klingt soundtechnisch sehr nach den frühen Tocotronic, hat die Rumpeligkeit von Huah!, der Kolossalen Jugend. Nicht zwingend ein Wunder wenn man bedenkt, dass Carol von Rautenkranz, bekannt durch Produktion bzw. Mitwirkung bei oben genanntem Label, respektive zuletzt genannter Bands, auch hier für den guten Ton verantwortlich zeigt. Und für noch mehr Referenzen sorgen die Herren Alexander Schwartz und Joachim Büchner aus Pinneberg gleich selbst, wenn sie gestehen, sich ihren Bandnamen nach einer Pinneberger Kneipe gewählt zu haben, in der sie in den Genuss unter anderem oben genannter Kapellen kamen, von denen sie wahrlich eindeutig beeinflusst wurden. Freilich –Ende 2007, also so kurz vor Silvester eigentlich schon gefühlt 2008, wo die Indie-Szene zuviel Fokus auf Hochglanz legt, ist so eine klassische Lo-Fi-Platte eine famose Seltenheit geworden.

Ach, lange Rede, kurzer Sinn. Warum wird hier eine Einführung mit dem kleinen Gedankenspiel in Richtung Bühne gewählt ? Weil man sich diese Proberaumatmosphäre, die das Album „Ein bitterer Abgesang“ versprüht, schlicht und einfach auf einer Bühne viel besser vorstellen kann. Irgendwie klingt das wie eine Huldigung an alte Helden, die sicherlich durch den unterproduzierten Sound genauso seine Reize hat wie durch die kleinen Ausflüge vom rumpeligen Indie- in den schwelgerischen Krautrock („Angst Ventilator“). Die Stimmung ist durchweg düster gehalten, nun ja, es ist ja auch ein bitterer Abgesang, und die Melancholie über Missstände und Widrigkeiten des Alltags wird förmlich spürbar. Tristesse ist vielleicht das richtige Stichwort. Sind wir doch mal ehrlich: Tristesse auszudrücken gelingt halt auch nur selten mit Hochglanzproduktion, ohne dass dem Ganzen der Stempel der Scheinheiligkeit anhaftet. Das hier ist ein ehrliches Stück Indie-Rock, und das hier kracht und scheppert und schreit seinen Frust heraus ohne Hardcore zu sein. Und textlich versinkt es letzten Endes auch nicht in völliger Hoffnungslosigkeit, das macht Mut und gibt Anlass zum Glauben daran, dass Bessere Zeiten kommen. Die Welt als Momentaufnahme lässt schließlich immer ein „Morgen“ zu.“


Text: Kristof Beuthner