Fundgrube 31.12.2016

Drei Alben zur Revitalisierung des Pop-Feminismus

Er wuchs und wächst überall, in der Populärkultur ganz besonders in diesem Jahr. Er schlägt dabei hoffnungsvolle Triebe, etwa auf dem Buchmarkt (Miranda July, Margarete Stokowski) oder im Mainstream-Pop (Solanges »A Seat at the Table«). Er bildet kleine Ausläufer, die als neue Zwischenstationen und Wegmarken dienen (offener über Körperlichkeiten, Menstruation und die ganzen scheinhallig tabuierten Intimitäten reden können). Zuweilen wächst er aber auch in Engpässe und büßt seine Wachstumskraft ein: wird Accessoire, wird zum aktuell guten Ton, Konsumentscheidung, Identitätspolitik, Body-Hair Activism. Viel kann schief gehen. Prizipiell zwar ganz schön, wenn so viel und groß und breit über Feminismus geredet wird im Feuilleton, im Popkulturdiskurs und den Massenmeiden. Seine Entwertung lauert auf diesen Kanälen aber an jeder Ecke – Phänomene wie sie 2016 deutlich zutage traten.

Es sterben uns die Heldinnen weg – symbolisch jedenfalls, denn das faktische Prominenten-Sterben war 2016 doch vorwiegend Männern vorbehalten (Pauline Oliveros als die die Regel bestätigende Ausnahme). Selbstbeförderungen ins musikalische Abseits hingegen fielen besonders bei selbsterklärten Feministinnen unangenehm auf. Pussy Riot fanden schon immer mehr als öffentliche Performance und soziales Kunstwerk denn als Band statt. Um Musik ging es wenig. (Um welche auch? Die Pussy-Riot-EP »Ubey Seksista« war höchstens Ausweispapier dafür, dass es diese Punk-Band als Punk-Band tatsächlich gibt.) Nach praktisch-realistischen Interventionen sucht die Gruppe neue öffentliche Wirksamkeit mittels Musikvideos – gegen Putin, gegen Trump, gegen Juri Tschaika – mit ähnlichr Strategie wie früher auf den ganzen »Rock-Against-Bush«-Samplern: Ironie und Provokationsbemühungen, die aber weder besonders kühn noch irgendwie aussagekräftig werden. Die musikalische Begleitung war auch weitestgehend furchtbar.

 

Weiteres, wohl noch bedauernswerteres Beispiel: Le Tigre veröffentlichen 12 Jahre nach ihrem letzten Album ihren bis dato schlechtesten Song: ein fremdschämwürdig naiver, weil auf kaum mehr als auf den »starke Frau«-Status abzielender Lobgesang auf Hillary Clinton. Dass das schiefgehen muss, hätte man kommen sehen können. (Hierzu ein Merksatz von Mark Lilla: »Identity politics [...] is largely expressive, not persuasive. Which is why it never wins elections...«) Le Tigre haben alles falsch gemacht und Kathleen Hanna hat, wo das neue Julie-Ruin-Album doch noch ganz passabel gewesen war, jegliche Integrität verspielt. Den Bikini-Kill-Aufnäher muss man sich beim nächsten Female-fronted-irgendwas-Konzertabend nicht gleich abtapen. (Falsche Scham.) Aber verraten fühlt man sich trotz allem.

 

Suchen wir uns unsere Vorbilder auf alten Platten, die uns erinnern, wie es besser geht.

1.: God Is My Co-Pilot – Speed Yr Trip (1992, Making Of Americans)

Gestehen wir es und ein: So gut war die Musik von Bikini Kill eigentlich nicht. Wichtige Band – mit dem Zine, der ganzen Riot-Grrrl-Szene-Vernetzung, der Ermächtigung und Vorreterinnenschaft. Musik und Drumherum muss nun auch nicht zwangsläufig getrennt werden. Wenig ideenreiche Musik wird schließlich auch besser, wenn ein bisschen Kontextwissen als Faktor des Interesses hinzuaddiert wird. Eine Idee von Austauschbarkeit bedrängt einen trotzdem.

Die Band God Is My Co-Pilot hat zwar wenige offensichtliche Feminist-Empowerment, dafür aber eine ganz eigene musikalische Form. GodCo war eine mehr oder weniger loses New Yorker Bandkollektiv, um das bisexuelle Ehepaar Sharon Topper und Craig Flanagin, deren Musik maximal anarchisch, wie ein Zusammentreffen von Lydia Lunch, Crass und Half Japanese, klingt – hinzukommen noch Gastauftritte von Jad Fair, John Zorn u.a., die an den plus/minus eine Minute langen Stücken mitwirken. Diese Songminiaturen thematisieren meist Entmachtungs-, zwischenmenschliche Konflikt- oder persönliche Körpererfahrungen (zwei Zeilen aus »Fat«: »Liz won't shave her pussy / Coz it makes her look fat«) und klingen weitestgehend improvisiert – sind vielleicht aber auch auf undurchdringliche Beefheart-Weise komponiert sind. Den Ethos der Band beschreibt Sharon in einem Interview wie folgt: »You don't have to play an instrument but you have to like to try and to like sounds. And you have to be nice to us. Especially me.« (No Wave kann ja jede*r. Richtig.)

 

Abgesehen von der Session die GodCo für John Peel einspielten, gab es nach Ende der 90er keinerlei Veröffentlichungen oder Wiederveröffentlichungen der Band mehr und die CDs und Platten sind lediglich noch gebraucht erhältlich. Zu lesen gibt es neben einem Fanzine-Interview von der Band ebenso wenig.

2.: Ludus – The Seduction (1981, New Hormones)

...die ganze Manchesterer Szene Ende 70er, Anfang 80er: alles nur Typen. Buzzcocks, Joy Division, The Fall, Magazine, Durutti Column. Während in New York zur selben Zeit mit Teenage Jesus and the Jerks, ESG oder Mars Bands auf den Plan treten, die nicht ausschließlich männlich sind (und die, viel wichtiger, Musik machten, die bis heute nicht ganz verständlich und irgendwie unwahrscheinlich und dadurch spannend klingt), gibt es an gemischtgeschlechtlichen Bands in Manchester: A Certain Ratio, Swamp Children, Kalima, an die sich heute kaum jemand erinnert. Das alles sagt: erst mal nichts – nichts über die Musik oder über die strukturelle Ungleichbehandlung innerhalb der dortigen Subkultur, höchstens ein bisschen etwas (aber vielleicht auch nicht) über Problematiken der Repräsentation damals wie heute. Es stellt aber einen guten Anlass für eine Gedenkstunde an Linder Sterling (noch am Leben) dar – Photographin, bildende Künstlerin, ehemals Musikerin. Linder (geb. Linda Mulvey) war zuerst als Coverdesignerin u.a. für Buzzcocks, The Fall in Manchester umtriebig bis sie Ende der 70er zusammen mit dem ehemaligen Magazine-Keyboarder Howard Devoto die Band Ludus gründete. Obwohl Ludus vom befreudneten Morrissey persönlich zu einer seiner Lieblingsband erklärt wurden und die Band tatsächlich wie kaum eine andere Band aus der Zeit klingt, scheint sie heute vergessen. Ähnlich wie bei GodCo klingen auch Ludus' Songs gleichzeitig wie aus dem Ärmel geschüttelter Post-Punk und dann doch hochkomplex und an Massacre oder andere Bands aus dem Rock-in-Opposition-Genre erinenrnd. (Ein empowerndes Statement Linders zum Ansatz der Band: »Everybody around me was making music, it seemed like a very obvious thing to do, and it seemed so easy for everyone else, so I got musicians together—and it's not that hard after all.«) Vor allem Linders Gesangsstil ist so ideenreich, changiert unablässig, vollführt auf schönste Weise was Text-Intonation schaffen kann, nämlich etwa einfache, feststellende Sätze zu musikalischen Statements zu machen – im Song »Unveil« etwa: »You abuse my sexuality, you take it and make it, you take it and make it … commodity, I am your property. Use me to sell man made machines, masculine dreams, use me to sell your dreams.«

 

Ludus' wichtigstes »The Seduction« wurde zusammen mit der EP »The Visit« auf LTM Recordings wiedereröffentlicht, auf deren Seite sich auch ein spannender biographischer Abriss der Band findet.

3.: The Crainium – A New Music For A New Kitchen (1998, Slowdime)

The Crainiums »A New Music For A New Kitchen« ist wie ein Manifest – oder eine Manifesta, also die nicht-militante Schwester des Manifests, wenn man dem Hinweis Simon Reynolds und ?Joy Press in »The Sex Revolts« folgt. »Multi-sex species«, »a system of power over a system of death...« »Yes. Yes. Yes. I Am A Traitor To My Sex!« »Make the domestic public!« «Our survival depends on our transformation in androgynous beings.» Auch bei The Crainium bietet sich der Begriff No-Wave an, jedoch nur, weil der so gut auf nichtklassifizierbare Prä-00er-Bands, die irgendwie eine Wurzel in (Proto- oder Post-)Punk haben, aber eigentlich kaum mit etwas anderem vergleichbar sind – in The Crainiums Falle könnte man vielleicht von einer bizarren Mischung aus Archbishop Kebab und (the) Daughters sprechen und hat doch nicht einmal die Hälfte dessen, was auf »A New Music For A New Kitchen« passiert abgedeckt. In den den Texten werden auf offensichtliche, aber doch abstrakte Weise Themen wie Intersexualität und Geschlechtergleichheit thematisiert und beim titelgebenden 8-minütigen Kernstück denkt man unweigerlich an Virginia Woolf – aufgrund von Zeilen wie: »With a new music we will break free from the body backwards. [...] In a new kitchen we will dance on the symptoms. [...] In a new kitchen, to the women, to the children, there are men looking up to them, listening and learning what feeling is and how to feel.«

 

Die Band bestand aus Musiker*innen, die später in Bands wie Gang Gang Dance oder Blood Lines spielten, aber auch das legt grade einmal ansatzweise nahe, wie The Crainium selbst klignen. Leider sind das einzige Album der Band und die Singles der Band nie neu aufgelegt wurden und sind nur noch gebraucht erhältlich.

 

Text: Aiva Kalnina