Fundgrube 23.10.2018

40 Jahre „Halloween“ und seine Musik: Wie sich dank John Carpenter ein Kreis schließt

Es ist wieder Halloween. Am 25.10. startet der neueste Teil der sehr langlebigen Slasher-Saga um den Maskenmann Michael Myers in den Kinos, und natürlich gibt es dazu auch wieder einen Soundtrack. Das wäre alles nicht erwähnenswert, wäre die musikalische Untermalung des mörderischen Treibens im Jahr 1978 nicht so legendär und ikonisch gewesen - und würde nicht für die neue Filmmusik genau wie damals der große John Carpenter verantwortlich zeichnen.

Haddonfield, Illinois. October 31. Halloween. Diese Einblendung haben wir alle vor Augen, wenn wir uns gerne Horrorfilme anschauen. Das tun wir besonders gerne, wenn die Tage draußen kürzer werden und es früher dunkel ist. Dann macht es uns Spaß, uns im Sessel oder auf der Couch einzumuggeln und uns zu gruseln. Warum? Darum soll es hier gar nicht gehen. Wer daran keine Freude hat, der wird auch durch diesen Artikel keine bekommen.

„Halloween“ jedenfalls. Michael Myers tötet im Alter von 6 Jahren seine Schwester mit einem langen Küchenmesser. An Halloween, während seine Schulkameraden kostümiert um die Häuser ziehen. Doch auch Michael trägt eine Maske bei seiner grausigen Tat; legendär geworden ist die Kameraeinstellung, bei der wir Michaels Weg in das Zimmer seiner Schwester Judith nur noch durch die Augenschlitze seiner Clownsmaske sehen, sobald er sie aufgesetzt hat - begleitet von seinem schweren Atmen. Schritt für Schritt geht es auf das Unvermeidliche zu. Diese Szene hat sich nicht nur für Horrorfilmschauer ins Bewusstsein eingebrannt, sie hat auf ähnliche Weise Filmgeschichte geschrieben wie die Duschmordszene in Hitchcocks „Psycho“, das bitterböse Finale aus Roegs „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ oder der Blick in den Kinderwagen in Polanskis „Rosemary’s Baby“. Alles Horrorfilme, die es durch ihre geniale Machart aus dem Schmutz der Videothekenregale hinaus vor ein ernsthaftes Kritikerpublikum geschafft haben. „Halloween“ war kein dreckiger kleiner Flick: Das war Kinoterror in genialer Machart, der Maßstäbe gesetzt hat und unzählige Nachahmer fand.

Im Film erleben wir nun einen Zeitsprung und sehen, wie Michael Myers aus der Nervenheilanstalt in Smith’s Grove entkommt und nun, wir schreiben inzwischen das Jahr 1978, verfolgt von seinem Psychiater Sam Loomis (nicht minder ikonisch verkörpert von Donald Pleasence) Jagd auf die Babysitterin Laurie Strode (Jamie Lee Curtis in ihrer ersten großen Rolle) macht. Loomis ist sich sicher: An Michael Myers ist nicht das geringste Mü an Menschlichkeit mehr vorhanden. Er ist das Böse in Reinform, und die weiße Maske, die Myers zu seinem dunkelblauen Overall trägt, tut zur Entmenschlichung des Killers ihr übriges. Michael zieht seine Runden durch die Nachbarschaft Lauries und bringt ihre Freundinnen um, bis er sie selbst angreift. Die Bilder sind bekannt: Laurie sucht mit den beiden Kindern, auf die sie aufpasst, Schutz im Haus, doch kein geschlossenes Fenster und keine Tür können Michael Myers aufhalten. Erst das Auftauchen von Dr. Loomis bringt Erlösung: Der Psychiater schießt auf Michael, dieser stürzt vom Balkon, aber, Achtung, Spoiler: Als Loomis nachschauen will, ist Michael verschwunden. Ende. Abspann. Aber auch Cliffhanger: Zu sieben regulären Fortsetzungen, zwei Rob Zombie-Remakes und nun eben dem neuesten „Halloween“-Teil von David Gordon Green, der nun bald in den Kinos startet.

Die „Halloween“-Filme haben mich durch meine Jugend begleitet. Es gibt ja, daran werden sich alle Mittdreißiger mit mir erinnern, so ein paar Streifen, die man gesehen hat, obwohl man das noch gar nicht durfte: Romeros originaler „Dawn Of The Dead“, die alte TV-Fassung von „Es“ und natürlich „Friedhof der Kuscheltiere“, aber auch „Halloween“ gehört unweigerlich dazu. Der Reiz des Verbotenen war einfach zu groß, und irgendwer kam immer an eine Kopie heran.

Ich hatte das Glück, dass mein Vater, selbst ein großer Filmfan, Horrorfilme nicht aufgrund ihres Blutgehaltes, sondern aufgrund ihrer Kunstfertigkeit beurteilen konnte - das heißt, sofern sie das hergaben, natürlich. Und so wurde mein erster Gruselfilm mit 14 Jahren Carpenters „The Fog - Nebel des Grauens“, und ich durfte ihn ganz „legal“ anschauen, ohne groß mit Heimlichkeiten herumzudoktern. Als dann „Halloween“, wie jedes Jahr am 31. Oktober, im Fernsehen lief, bat ich Papa, den Film aufzuzeichnen, weil ich ihn mit einem Kumpel anschauen wollte. Das durfte ich, aber nur unter der Voraussetzung, dass er ihn vorher sichtete. Gesagt, getan und für okay befunden: Ich kam also ganz offiziell an „Halloween“ heran, und er beeindruckte mich nachhaltig.

Meine Geschichte mit den Fortsetzungen ist dann doch eine über den Reiz des Verbotenen. Denn je länger die Reihe bestand, desto brutaler wurden die Filme, die ich mit meinem ersten Videorekorder, den ich vorprogrammierte, nachts aufnahm und fasziniert einatmete. Ich wurde zum großen Bruder, der seiner kleinen Schwester und ihren Freundinnen - natürlich nachmittags bei Tageslicht - die gruseligen Michael Myers-Filme zeigte. Das darf man aus pädagogischer Sicht hinterfragen, aber natürlich waren das prägende Momente unserer Teenager-Zeit. Durch den 1998 erschienenen „Halloween H20“ wurde Michael Myers ohnehin auf das zeitgenössische Niveau von humorvolleren, das Genre persiflierenden Slasher-Filmen wie „Scream“, „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“ oder „Düstere Legenden“ gehoben und der Maskenmann war gerade mal wieder in aller Munde. Ich war, wenn man so wollte, also vom Knaben, der sich die Hände vor die Augen hält, zum Vermittler von Popkultur geworden.

Was mich aber unabhängig vom Geschehen auf dem Bildschirm faszinierte, war die Musik von „Halloween“. Aufgrund der relativ geringen finanziellen Mittel, mit denen der Film entstand, war es nicht möglich, einen von einem Orchester eingespielten symphonischen Soundtrack zu kreieren. John Carpenter machte aus der Not eine Tugend und komponierte die Musik am Keyboard, obwohl er, wie er selbst sagte, gar nicht richtig Keyboard spielen konnte. Nun, es reichte immerhin aus, um einen der Filmsoundtracks mit dem höchsten Wiedererkennungswert bis heute zu erschaffen. Wenn wir das im 5/4-Takt geschriebene und mit diesem charakteristischen Klackern versehene „Halloween Theme“ heute hören, verbinden wir es sofort mit dem Mann mit der weißen Maske und grinsenden Kürbislaternen.

Der Minimalismus, mit dem Carpenter seine im Film immer wiederkehrenden, nur leicht variierten Themen - von dem Zischen in der Mordmontage bis hin zum melancholisch-unheilvollen Warten auf die Nacht des Grauens bis hin zum stakkatoartigen Verfolgungsthema - zu Werke ging, war die größte Stärke des „Halloween“-Soundtracks, der bis heute nichts von seiner Faszination eingebüßt hat. Carpenters Untermalungen zu seinen Filmen „The Fog“, „Dark Star“, „Assault On Precint 13“ oder „Christine“ waren auch gut, aber sie alle erreichten nicht die Strahlkraft und Intensität von „Halloween“ - neben Bernard Hermanns Musik zu „Psycho“ und Goblins Kompositionen zu Argentos „Suspiria“ gehört es zu den definitiv besten Horrorfilm-Soundtracks aller Zeiten. Nicht von ungefähr hat Rich Vreeland unter dem Pseudonym Disasterpeace die Musik zu David Robert Mitchells „It Follows“ von 2014 überdeutlich daran angelehnt.

Nun kann man John Carpenter als einen tollen Regisseur feiern - seine großen Erfolge liegen lange zurück. Vor drei Jahren aber trat er endlich wieder als Komponist in Erscheinung, als er seine „Lost Themes“ veröffentlichte und dafür zurecht stark gefeiert wurde. Das waren klassische Carpenter-Sounds in zeitgenössischerem Gewand; es war Musik zu Filmen, die nie gedreht wurden, und entsprechend suggestiv arbeiteten diese Tracks mit unserem Kopfkino, das John Carpenter immer noch anzuregen weiß wie nur wenige neben ihm. Der inzwischen Siebzigjährige ging sogar nochmal auf Tournee, veröffentlichte schließlich auch noch eine zweite Ausgabe seiner „Lost Themes“, eindrucksvolle Beweise dafür, dass er es immer noch drauf hatte.

Und dann, und hier schließt sich der Kreis, kam David Gordon Green und seine Idee, einen neuen „Halloween“-Film zu drehen. Carpenter schloss sich dem Team als Creative Consultant an - und entschied sich, auch wieder für den Soundtrack verantwortlich zu zeichnen. Und das ist, ohne den Film gesehen zu haben, jetzt schon wieder eine große Stärke.

Veröffentlicht auf Sacred Bones Records besinnt sich Carpenter nicht nur auf die Klasse seines Werkes von 1978, sondern auch auf die musikalischen Einflüsse aus Ambient und Contemporary Sounds, die in den vergangenen 40 Jahren auch Carpenters Schaffen hörbar beeinflusst haben. Die „Lost Themes“ waren schon keine simplifizierten Synthesizer-Kompositionen mehr, was sicherlich auch daran liegt, dass Carpenter sich dafür mit seinem Enkel Cody Carpenter und Daniel Davies zusammengetan hat und so nicht mehr alleine für Instrumentierung und Auskleidung seiner cineastischen Soundscapes verantwortlich zeichnete.

Der neue „Halloween“-Soundtrack ist nun ganz offensichtlich eine Hommage an das Original geworden. Das wird direkt spürbar, wenn die vertrauten Klänge des klassischen „Halloween Theme“ aus den Boxen klingen - nur, dass Carpenter es mit stampfenden Beats aufgehübscht hat und ihm dadurch eine ganz neue Dringlichkeit verleiht. Und Kenner des Originals werden noch weitere bekannte Versatzstücke des ursprünglichen Soundtracks wiederentdecken: Zwischen wabernden Spheres und unheilvollen Drones stößt man immer wieder auf Themen des Meisterwerks von 1978; auf „The Shape Kills“ hören wir die wohlbekannte Montage, die uns erzählt, dass Michael Myers gerade wieder einem Opfer auf den Fersen ist, und „The Shape Returns“ vermischt das Titelthema mit dem unheilvollen Geräusch, das uns verrät, dass der Killer gerade wieder hinter einem Busch auftaucht, still beobachtet, sich in Position bringt.

Dass der neue „Halloween“-Soundtrack aber auch als vom Film losgelöstes Album funktioniert, verdanken wir der Genialität Carpenters, der sich Elementen der düsteren Neoklassik („Allyson Discovered“) und aus dem Industrial („Michael Kills“) bedient; nervös-brachiale elektronische Passagen mit melancholischen Piano-Melodien abwechselt und so den Spannungsbogen konsequent aufrecht erhält. Die Platte zeigt also auf der einen Seite Carpenters kompositorische Finesse, zum anderen die Zeitlosigkeit des Originals. Besser hätte David Gordon Green sich die musikalische Untermalung seines Filmes kaum wünschen können.

In eine ähnliche klangliche Kerbe schlug übrigens auch schon Alan Howarth mit seinen Soundtracks zu „Halloween IV - The Return Of Michael Myers“ (1988) und „Halloween V - The Revenge Of Michael Myers“ (1989), dreckigen kleinen Video-Produktionen, die allerdings die Verwendung und Variation der klanglichen Leitthemen von 1978 spannungstechnisch zu ihrem großen Vorteil machten und so das tragende Element für die Rückkehr von Michael Myers auf die Fernsehbildschirme gewohnt unheilvoll gestalteten.

Klar ist, dass der neue „Halloween“-Film, dessen Vorab-Kritiken übrigens überraschenderweise recht positiv ausfielen, viele gute Erinnerungen weckt - immerhin begleiten die Filme mich jetzt schon fast mein halbes Leben und finden traditionell jeden Oktober wieder den Weg in meinen DVD-Player. So stilbildend wie der Film ist aber eben auch sein Soundtrack; John Carpenter hat da eine Symbiose geschaffen wie nur wenige neben ihm, und das eine ist ohne das andere nicht vorstellbar.

So herrscht nun, wo die Tage kürzer und die Schatten länger werden, wieder Vorfreude auf ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte dieser beiden Kunstformen - mit einem John Carpenter in absoluter Hochform und, da bin ich einfach mal zuversichtlich, anderthalb Stunden Oldschool-Grusel par excellence.


Text: Kristof Beuthner